Im Visier des Verfassungsschutzes?!

Nach den Enthüllungen über den terroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) stand der Verfassungsschutz (VS) stark in der Kritik. Doch anstatt den Verfassungschutz grundsätzlich in Frage zustellen, forderten Politiker_innen ihm mehr Befugnisse einzuräumen. Mittlerweile sitzt der VS wieder fest im Sattel. Schaut man sich seine Arbeit genauer an, drängt sich der Verdacht auf, dass es politische Gründe hat, ob man "ins Visier" des Verfassungsschutzes gerät oder nicht. Und das wiederum könnte einiges mit der Extremismusklausel und -Denken zu tun haben.

Zur Verdeutlichung wie sich diese politischen Motivationen im vorgeblichen Engagement gegen Extremismus zeigen, bietet sich ein weiteres Stück aus dem Kuriositätenkabinett der Extremismuswelt an. Diesmal wieder mittendrin: Kristina Schröder, Bundesministerin und Erfinderin der sogenannten Demokratieklausel. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau [1] über die Debatte um die Überwachung von Führungspersonal der Linkspartei, spricht sie davon, dass es problematisch sei „Linksextremismus und Rechtsextremismus permanent in einem Atemzug zu nennen“. Das wirkt zunächst überraschend. Schröder mahnt, Links und Rechts seien vielmehr "unterschiedliche Phänomene", die nicht vermengt werden dürften. Nun sollte man nicht den Fehler begehen und behaupten, die Befürworter_innen des Extremismus-Modells, würden nur sagen, Rechts und Links sei dasselbe. Den mantraartigen Beschwörungen, es gelte alle Extremismen zu bekämpfen und die saubere Mitte müsse sich abgrenzen, folgt nicht selten der Verweis, dass Rechts und Links bei aller Ähnlichkeit nicht das Gleiche sei. Ein hilfloses Zugeständnis, um im Rahmen wissenschaftlicher Plausibilität zu bleiben.

Trotzdem ist genannte Bemerkung von Bundesministerin Schröder an prominenter und hervorgehobener Stelle bemerkenswert und genaueres Hinschauen lohnt sich. Die Betrachtung der Umstände, wie es so zu einer Aussage kommt, verdeutlicht, dass es sich dabei vermutlich um alles andere als einen Zufall handelt. So wurde Schröder gefragt, ob nicht ein fataler Eindruck entstehe, wenn Geheimdienste Politiker_innen der Partei Die Linke überwachen und zugleich Neonazis zehn Morde begehen können. Im Grunde eine rhetorische Frage. Die eigentlich vernünftige Antwort, hier Versagen von Sicherheitsbehörden einzugestehen und damit gleichzeitig zu realisieren, welche perfide Logik hinter der defacto Gleichsetzung von Rechts und Links steht, umgeht Schröder geschickt: Das Extremismusmodell lässt sie einfach mal in der Schublade. Gysi sei kein Extremist, aber so ein bisschen Überwachung schade nicht. Beim Lesen der Interview-Zeilen drängt sich fast der Verdacht auf, sie sei genervt von einer Gleichsetzung von Rechts und Links.[2] Das stellt wohl kaum einen Zufall dar, sondern sieht nach Kalkül aus, läuft Schröders sonstiges Engagement (z.B. Streichung von Geldern, Einführung der Extremismusklausel, Hofieren von Projekten gegen Linksextremismus) doch im Endeffekt auf eben jene Gleichsetzung hinaus. Dieses Kalkül zeigt vor allem eines: bei dem Modell geht es um politische Motivation, Meinungshoheit und die Definition darüber, welche Positionen legitim sein sollen. 

Werden politische Kontrahent_innen mit dem Begriff „extremistisch“ stigmatisiert, weil dieser z.B. durch Politiker_innen ins Spiel gebracht wird oder weil ein Eintrag im VS-Bericht auftaucht, dann werden diese aus dem vermeintlich sauberen Spiel der demokratischen Mitte enthoben. Die Politik, die von Verfassungsschutz und Extremismusmodell-Befürworter_innen betrieben wird, versucht damit politische Gegner_innen moralisch zu diskreditieren und aufs Abstellgleis zu schieben. Die Logik, die hinter diesem Politikverständnis steht, ist eine ordnungspolitische: Der Raum für Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft wird auf diesem Wege massiv eingeschränkt und ergebnisorientiert nach klaren, vorgeben Richtlinien skizziert. Demokratie als ein Prinzip, welches prozesshaft, diskursiv und weitestgehend offen ist, ist darin nicht enthalten.

Dass zahlreiche Bundestagsabgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ist mehr als fragwürdig. Selbst aus Reihen der FDP wurde erkannt, dass dies in einer Demokratie nicht in Ordnung sei.[3] Dass eher Vertreter_innen des gemäßigten Lagers überwacht werden, macht die Überwachung absurd und unterstreicht, dass es um die Diskreditierung einer politischen Gegnerin geht. Nun lässt sich mutmaßen, dass die VS-Schnüffelei bei den Linken, für die Partei selbst zwar äußerst ärgerlich ist und sie sich dieser zu Recht Luft gemacht hat, sich die Folgen für die Partei aber eher im Rahmen halten werden. Auch der Vorstoß des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt, nach dessen Auffassung ein Verbotsverfahren gegen die Linke angestrebt werden sollte, hat selbst bei dessen Parteifreunden wenig Anklang gefunden und wurde insgesamt eher belächelt.[4]

Meist sind jedoch Gruppen und Initiativen von Extremismus-Vorwürfen und VS-Schnüffelei betroffen, die über weniger Ressourcen verfügen und solche Angriffe weniger leicht wegstecken können. Für sie können Vorwürfe und VS-Überwachung wesentlich folgenreicher und mitunter existenzbedrohend sein. Beispielhaft seien hier die Vorgänge um die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (a.i.d.a. e.V.) in München zu nennen. Die a.i.d.a leistet seit vielen Jahren wichtige Aufklärungs- und Bildungsarbeit für und im Engagement gegen Rechts. Ihre Arbeit wurde durch mehrere Preise und Auszeichnungen, auch von staatlicher Seite, gewürdigt und bestätigt[5]. Trotz dieses prämierten Engagements – oder vielleicht auch gerade wegen? –  ist der Verein ins Visier der Verfassungs- und Staatsschützer geraten: Im bayrischen Verfassungsbericht taucht die a.i.d.a. im Jahr 2008 als linksextrem auf. Solch ein Eintrag kann folgenreich sein. Neben massiven Imageverlust kann diese z.B. auch zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen, wie 2010 bei a.i.d.a. der Fall. Was wiederum Verluste von Spendengeldern, Ausschluss aus Gremien und Kooperationen oder eine Einschränkung möglicher Betätigungsfelder in Bildungs- und Aufklärungsarbeit nach sich ziehen kann.[6]

Das sind zwei Beispiele, welche die Vermutung unterfüttern, dass es sich bei Extremismus-Gerede und VS-Schnüffelei, in vielen Fällen weniger um die Verhinderung bzw. Beobachtung vermeintlicher oder tatsächlich staatsgefährdender Aktivitäten, sondern im weitaus stärkeren Maße um politische Motive handelt. Motive, die den Rahmen dessen, was demokratisch ist, welches zivilgesellschaftliche Engagement genehm ist und wer mitmachen darf, in bedenkenswertem Umfang beeinflussen oder beeinflussen wollen.

 [1] http://www.fr-online.de/politik/kristina-schroeder-im-interview--gregor-gysi-ist-kein-extremist-,1472596,11528454.html

 [2] Vgl. hierzu: http://www.fr-online.de/politik/kristina-schroeder-im-interview--gregor-gysi-ist-kein-extremist-,1472596,11528454.html

 [3] http://www.fr-online.de/politik/verfassungsschutz-fdp-kritisiert-ueberwachung-der-linken,1472596,11497650.html

 [4] http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2174077/Dobrindt-will-Linke-Verbot-Quartalsirrer.html

 [5] http://www.aida-archiv.de/index.php?option=com_content&view=article&id=1502:diffamierungskampagne-des-bayr-innenministeriums-gegen-aida&catid=53:pressemitteilungen&Itemid=1355#Fu%C3%9Fnote%202

 [6] Vgl. Dölemeyer/Mehrer 2011, 7f, in: Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hrsg.): Ordnung. Macht. Extremismus, Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells. 

 


 

 

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